Untersuchungen zur Beschäftigung und zum Transport von Zirkustieren
Vortrag:
Lernen ist ein fundamentaler biologischer Prozess. Nahezu alle Organismen auf
diesem Planeten sind dazu in der Lage, selbst Einzeller. Nicht umsonst hat der
renommierte Philosoph und Freund von Konrad Lorenz, Karl R. Popper, eines seiner
Bücher: „Alles Leben ist Problemlösen“ betitelt. Heute sind wir in der glücklichen
Lage im Ansatz die biochemischen und zellulären Mechanismen des Lernens zu
verstehen. An der Meeresschnecke namens Großer Seehase oder Aplysia hat der
Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Eric Kandel wichtige Grundlagen der
neuromolekularen Mechanismen des Lernens und des Gedächtnis herausgefunden.
Was für Aplysia gilt, gilt auch für andere Tiere einschließlich des Menschen.
Ohne lernen würden sich die Organismen im Dickicht der Umwelt nicht zurechtfinden. Tausende von Reizen stürmen auf sie ein, sie müssen unterscheiden, welche von ihnen wichtig sind und welche nicht. Zahlreiche neurologische Untersuchungen zeigen, dass Tiere, die in einer reizarmen Umwelt leben, weniger Synapsen bilden und umgekehrt. Bei Mäusen konnte man sogar in vivo zeigen, wie sich Synapsen während des Lernens bilden. Wie wichtig die Möglichkeit des Lernens für das Wohlbefinden eines Organismus ist, darüber gibt es in der wissenschaftlichen Gemeinschaft keine Zweifel mehr. Umso komplexer das Gehirn eines Organismus ist, desto mehr muss er die Möglichkeit haben, zu lernen. Wo Tiere etwas lernen, ob in der Natur oder in der Obhut des Menschen spielt dabei keine Rolle, wichtig ist aber unter welchen Bedingungen ein Tier lernt. Lernt das Tier in der Obhut des Menschen, so ist er verpflichtet, dem Tier keine Schmerzen oder Leiden zuzufügen. Das gilt überall ob auf dem Hundeplatz, in den Circusmanegen der Welt oder in der Wohnstube.
Einen Löwen oder einen Schäferhund zu dressieren, ist prinzipiell das Gleiche. Bei Beiden werden auf der Ebene der Zelle in diesem Moment des Lernens neue Synapsenverknüpfungen hergestellt. Warum sich Tierrechtler gegen die Dressur im Circus (Dressur ist ein Lernvorgang) wenden, ist daher wissenschaftlich schwer nachvollziehbar. Ihrer Meinung nach ist diese Art der Ausbildung widernatürlich, weil es in der Natur nicht vorkommt. Lernen ist aber grundsätzlich nicht widernatürlich,sondern nur die Bedingungen unter denen ein Tier lernt, können schlecht oder gut sein. Und das muss im Einzelfall geprüft werden.
Erkundungs– und Spielverhalten sind Indikatoren für Wohlergehen bei Tieren.
Hierunter versteht man:
Das Wohlergehen eines Tieres ist sein Zustand hinsichtlich seiner Versuche, mit
seiner Umwelt fertig zu werden. Dies bezieht sich sowohl darauf, wie viel dafür getan
werden muss, um die Umweltbedingungen zu meistern, als auch darauf, in wie weit
diese Versuche von Erfolg gekrönt sind.“ ( BROOM 1986 )
Diese Definition impliziert mehrere Aspekte ( BROOM 1993 ):
- Wohlergehen ist eine Eigenschaft eines Tieres und nicht etwas, das ihm von außen gegeben wird.
- Das Wohlergehen kann zwischen sehr gut und sehr schlecht schwanken und ist kein absoluter, statischer Zustand.
- Wohlergehen kann mit wissenschaftlichen Methoden gemessen werden. Den Messungen muss fundiertes Wissen über die Tierart zu Grunde liegen.
- Um das Wohlergehen eines Tieres ist es schlecht bestellt, wenn es nur unter Problemen oder gar nicht mit seinen Umweltanforderungen fertig wir.
Wie schon erwähnt spielt Lernen und Denken für das Wohlergehen eine wesentliche Rolle und dennoch weiß man über die kognitiven Fähigkeiten der Großkatzen fast nichts. Wie gut sie Probleme lösen, ist experimentell ein unbeschriebenes Blatt. Im Folgenden möchte ich ihnen eine Studie vorstellen, die wir an Tigern, welche in der Obhut des Menschen geboren wurden, durchgeführt haben. Wir beschäftigten uns mir der Frage, wie Tiger unvorhergesehene Probleme durch Nachdenken lösen. Meines Wissens wurde die Kognitionsfähigkeit von Tigern noch nie wissenschaftlich untersucht und so testeten wir, ob Tiger ein Verständnis für „folk-physic“ haben. Es handelt sich hierbei um die Fähigkeit, bei Mensch und Tier einige grundlegende physikalische Regeln bezüglich Objekten und deren Wechselbeziehungen zueinander zu benutzen.
Physik für Tiger
Experimentell untersucht wurde dieses Phänomen einerseits bereits an Hunden von
OSTHAUS (2003) und MIKLOSI (2007) und andererseits an Katzen von GOULET,
DORE und ROUSSEU (1994). Als Testobjekt entwickelten wir eine sogenannte
Problembox (s. Abbildung 1 & Film). Die Tiger (Anzahl der Tiger: 10 Tiger) mussten aus dieser Problembox eine
Schublade herausziehen, um an das Futter zu kommen. Es sollte dabei nicht darum
gehen, ob Tiger fähig sind, an etwas zu ziehen oder etwas zu bewegen, sondern ob
sie den Zweckzusammenhang zwischen dem Mechanismus und dem Futterfassen
verstehen.
Versuchsapparatur ( siehe Abbildung):
Die Oberseite der Problembox kann wie ein Deckel geöffnet werden. Durch diese
Öffnung wird von oben ein Stück Fleisch hineingeworfen. Es landet auf einem Brett
(Schublade ), das an den Seitenöffnungen herausragt und mit der Pfote herausgezogen
werden kann (s. Abb.). Der Tierlehrer öffnet im Angesicht der Tiere den
Deckel der Problembox und wirft ein Stück Fleisch auf den Schubladenboden.
Während dieses Vorgangs fordert er die Tiere auf, aufmerksam zu zusehen (s. Film).
Ergebnisse (siehe Schaubilder):
So viel vorweg. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Tiger ein Verständnis für
physikalische Zusammenhänge haben. Nach anfänglichen Trial and Error verstehen sie den Sach- zusammenhang,
auch dann, wenn die Bretter vertauscht wurden oder ein viel größeres langes Brett herausgezogen werden musste.
Sie fanden immer eine Lösung selbst weiteren eingebauten Hindernissen das Brett herauszuziehen.
Für Tiger ist dies alles andere als eine leichte Aufgabe. Dies erklärt sich wie folgt: Zuerst müssen die Tiere eine
stark durch Emotionen und Antrieb motivierte Handlung unterdrücken. Sie sehen das Futter und wollen auf den schnellsten
und direktesten Weg dorthin. Sie müssen im wahrsten Sinne des Wortes „die Motivationsbremse ziehen“.
Dieser Mechanismus - die Fähigkeit, Handlungen zu unterdrücken, die durch starke Emotionen motiviert sind, entwickelt sich auch beim Menschen erst allmählich, wie die kanadische Entwicklungspsychologin Adele Diamond zeigen konnte.
In Diamonds Test wurden Kleinkinder mit einer durchsichtigen Plexiglaskiste konfrontiert, die auf einer Seite offen war. Im Innern der Box befand sich, für das Kind sichtbar, ein Spielzeug, das es zuvor nie gesehen hatte. Alles Neue ist für Babys interessant und sie wollen nach dem neuen Gegenstand greifen. Bei manchen Versuchen war die Öffnung direkt dem Kind zugewandt, wenn das Kind die Hand ausstreckte, um das Spielzeug zu ergreifen, war es sofort erfolgreich. War die Öffnung aber auf der anderen Seite, mussten die Kinder also einen Umweg machen und seitlich um die Kiste herumlangen. Dies erfordert gleichzeitig die Unterdrückung des natürlichen Dranges, einfach geradeaus zu greifen.
Verhaltensweisen der einzelnen Tiger, die auf die Problembox gerichtet sind.
Kleinkinder unter neun Monaten waren dazu nicht in der Lage. Diamond konnte auch an Rhesusaffen zeigen, dass das Verrechungszentrum, welche die Handlung (geradeaus Greifen) unterdrückt, im präfrontalen Cortex des Gehirns liegt. Bei Kindern ist dieses Verrechungszentrum der Hemmung erst mit 9 Monaten ausgereift. Laurie Santos und Brian Ericson machten die gleichen Versuche wie Diamond mit Lisztaffen und stellten zu ihrer Verwunderung fest, dass die Lisztaffen nicht in der Lage waren, den Umweg zu gehen und um die Plexiglas Box herum zu fassen.
Verhaltensweisen der einzelnen Tiger, die auf die Problembox gerichtet sind.
Wer also Probleme lösen möchte, muss folglich die Fähigkeit haben, im Kopf eine
Güterabwägung vorzunehmen und bestimmte Handlungen unterdrücken. Für Marc
Hauser, Professor an der Harvard-Universität, ist dies ein fundamentale Vorgang
beim problemlösenden Verhalten. Er ist der Ansicht: „Rationales Denken basiert auf
der Fähigkeit, die eigenen Optionen abzuwägen, jeder von ihnen das ihr
entsprechende emotionale Gewicht zuzuerkennen und dann eine oder mehrere
Alternativen zugunsten einer anderen verwerfen zu können.“ Etwa die Hälfte der
Raubkatzen ist offensichtlich dazu in der Lage.
Unsere Untersuchungen erstreckten sich nicht nur auf Tiger, sondern auch auf
Löwen, Leoparden, Hunde und Hauskatzen. Die Ergebnisse der Löwen und
Hauskatzen ähneln sich sehr. Grundsätzlich stellten wir fest, dass bis auf wenige
Tiere alle neugierig auf die neue Herausforderung reagiert haben. Keines der Tiere
reagierte ängstlich und scheu auf die Problembox. Sie rochen an ihr, betasten sie
und versuchten sie mit all ihren Sinnen zu erkunden. Ihr Explorationsverhalten stieg
sprunghaft an.
Unsere Versuche haben keinerlei Hinweise darauf gezeigt, dass sich die Tiere nicht
wohlgefühlt haben oder gestresst waren.
Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zu den Äußerungen vieler Tierschutzorganisationen.
Sie behaupten, die Haltungsbedingungen und der Transport der Tiere von einer
Stadt zur anderen erzeuge Stress bei Wildtieren.
Lässt sich diese Behauptung physiologisch überprüfen? Wir denken, ja.
Auf die Problematik des Transportes der Zirkustiere möchte ich auf die Artikel:
Können sich Löwen an die Haltungsbedingungen von Zoo und Zirkus anpassen?
The use of salivary cortisol to assess the welfare of elephants
hinweisen